Physiologie der Verdauung

Der Verdauungsapparat

Die mit dem Futter aufgenommenen Nährstoffe werden erst durch den Verdauungsvorgang auf physikalischem und chemischem Weg in eine für das Tier resorbierbare Form überführt. Eiweiße werden dabei bis zu den Aminosäuren gespalten, Kohlenhydrate (Rohfaser, N-freie Extraktstoffe, das sind Zucker und Stärke) zu Monosacchariden (einfachen Zuckermolekülen) abgebaut und Fette in Glyzerin und gesättigte und ungesättigte Fettsäuren gespalten. 

Der Verdauungskanal gleicht einem mehr oder weniger langen Schlauch, der immer wieder mit Pforten versehen ist und mit dem Mund beginnt und am After endet. An einigen Stellen zeigen sich größere, verschieden lange Ausbuchtungen mit teils engerem, teils weiterem Durchmesser, und an vielen Stellen sind Drüsen positioniert, die ihre Sekrete zur Nahrungsaufschließung in den Verdauungskanal absondern.

Im Vergleich zu einem Rind gleicher Körpermasse besitzt das Pferd einen kleinen und kurzen Magen-Darm-Trakt. Seine Gesamtlänge beträgt beim Pferd etwa 30 m, bei einem Rind gleicher Größe etwa 50 m, das Fassungsvermögen in Litern liegt beim Pferd bei 200-220, beim Rind bei 300-320.

Mit dem Maul wird die Nahrung aufgenommen, je nach Tierart und Futterbeschaffenheit hauptsächlich mit den Lippen oder mit den Schneide- und Reißzähnen, wie bei den Fleischfressern. Beim Pflanzenfresser Pferd wird das Futter durch die Mahlzähne, die in Prämolare und Molare unterteilt werden, in kleine Bestandteile vermahlen und mit dem Sekret der Speicheldrüsen vermischt. Dadurch wird das Futter nicht nur aufgeweicht, sondern in geringem Ausmaß durch Enzyme des Speichels bereits teilweise in Lösung gebracht.

Nach dieser mechanischen Zerlegung wird die Nahrung mit der Zunge in den hinteren Teil der Maulhöhle verlagert und nach Verschluss der Luftröhre durch den Kehlkopfdeckel und Auslösung des Schluckreflexes in die Speiseröhre, den Ösophagus, transportiert. Der Ösophagus ist innen von Schleimhaut bedeckt, die von Muskulatur umgeben ist. Durch peristaltische Bewegungen erfolgt der Nahrungstransport in den Magen. Beim Pferd und übrigens auch bei der Katze, bestehen die vorderen zwei Drittel des Ösophagus aus quergestreifter Muskulatur, das letzte Drittel aus glatter, bei den anderen Tierarten zur Gänze aus quergestreifter Muskulatur.

 Das Pferd hat einen relativ kleinen einhöhligen Magen (Gaster), der die erste sackartige Ausstülpung des Verdauungsschlauchs darstellt und der zur Verdauung und Nahrungsspeicherung dient. Pferde können große Futtermengen nicht auf einmal aufnehmen und müssen daher mehrmals am Tag kleinere Rationen bekommen. Sie sollen drei Hauptmahlzeiten erhalten, deren Dauer mit 90 bis 120 min zu bemessen ist. Die Abendfütterung soll grundsätzlich am Ausgiebigsten sein, da anschließend ausreichend Zeit für die Verdauungsarbeit zur Verfügung steht.

Der Mageneingang wird als Cardia bezeichnet, an die sich der Anfangsteil des Magens, die Pars ventricularis, anschließt, die von kutaner Schleimhaut ausgekleidet ist. Die Muskulatur der Cardia ist beim Pferd sehr kräftig ausgebildet, so dass es nicht erbrechen kann. In der Pars ventricularis des Magens befindet sich eine ausgedehnte Bakterienflora, die bereits einen erheblichen Teil der löslichen Kohlenhydrate zu Milchsäure abbaut, die im Ileum resorbiert wird.

In der anschließenden Fundus- und Pylorusregion des Magens wird die Milchsäuregärung durch das Salzsäure-Pepsin-Milieu zugunsten der Eiweißverdauung zurückgedrängt. Im Magen und anschließenden Zwölffingerdarm (Duodenum) verweilen die Futtermassen 6 – 12 Stunden, in den restlichen Darmabschnitten einen halben bis ganzen Tag, wobei die gesamte Passagezeit bis zu 5 Tagen betragen kann.

Der Magenausgang wird durch den Pförtner (Pylorus) gebildet, durch den der Nahrungsbrei in den Dünndarm gelangt. Dieser ist unterteilt in den Zwölffingerdarm (Duodenum), den Leerdarm (Jejunum) und den Hüftdarm (Ileum).

Das Duodenum ist für die Verdauung von großer Bedeutung, da hier der Nahrung die Enzyme der Bauchspeicheldrüse und die Galle aus der Leber beigemischt werden. Der Gallengang und die Ausführungsgänge des Pankreas münden in die Pars cranialis des Duodenums.

Den längsten Abschnitt des Darms stellt das Jejunum dar. Hier wird der Darminhalt verflüssigt, enzymatische Abbauvorgänge finden statt und peristaltische Bewegungen transportieren den Nahrungsbrei in das kurze Ileum, das den Übergang zum Dickdarm bildet und in dem bereits erste Resorptionsvorgänge erfolgen.

Am Dickdarm befindet sich zu Beginn der Blinddarm (Caecum). Er befindet sich in der rechten Bauchhälfte, stellt ein sackartiges Gebilde dar, das blind endet und beim Pferd etwa 1 m lang ist und ein Fassungsvermögen von mehr als 30 l aufweist. Ein Wurmfortsatz (Appendix vermiformis) wie beim Menschen fehlt bei Pferd, Hund und Katze.

Der Hauptteil des Dickdarms wird vom Grimmdarm (Colon) gebildet, das tierartlich sehr unterschiedlich gestaltet ist. Der erste Teil wird als Colon ascendens bezeichnet und weist beim Pferd eine doppelte Hufeisenform auf. Der nächste Abschnitt, das Colon transversum, bildet einen Haken von rechts nach links und geht über in das Colon descendens, das auf der linken Körperseite nach caudal zieht und vor dem Beckeneingang in den Mastdarm übergeht.

Der Mastdarm (Rectum) verläuft unter der Wirbelsäule nach caudal und liegt mit seinem caudalen Abschnitt in der Beckenhöhle. Hier und im Colon descendens wird der Kot entwässert, eingedickt und geformt.

Der After (Anus) bildet den Abschluss des Verdauungskanals und mit seinen inneren und äußeren Schließmuskeln (Musculus sphincter ani internus und M. sphincter ani externus) sorgt er für den Verschluss des Darms nach außen, wobei der äußere Sphincter aus quergestreifter Skelettmuskulatur besteht.

Der Transport des Darminhalts erfolgt durch Bewegungen des Darmes, hervorgerufen durch die Darmmuskulatur, wobei man drei verschiedene Bewegungsformen unterscheidet:

  • Rhythmische Segmentierung – bewirkt Vermischung und Durchknetung
  • Pendelbewegungen dienen der Durchmischung
  • Peristaltik ist der Weitertransport, ausgelöst durch
  • Steigerung des Darminnendrucks

Die Caecummotorik des Pferdes besteht aus peristaltischen und antiperistaltischen Wellen, die in rhythmischem Wechsel auftreten. Ein Teil der aboral gerichteten Kontraktionswellen tritt auf das Colon über und befördert somit Darminhalt schubartig in das proximale Colon. Diese Wellen werden als „große Blinddarmbewegung“ bezeichnet. Zusätzlich beobachtet man am Caecum eine ausgeprägte Haustrenbildung mit Rollbewegungen.

Am Colon des Pferdes wechseln Aktivitätsphasen mit Phasen motorischer Ruhe ab. Die motorischen Komplexe werden durch kurze Pausenphasen unterbrochen und dauern 3-6 min. Sie stellen wandernde Segmentationskontraktionen dar, die den Dickdarminhalt durch die ringförmigen Einschnürungen in einzelne Boli unterteilen und ihn durch aborale Bewegungen langsam weitertransportieren. Überlagerte frequente Kontraktionen bewirken eine Durchmischung und langsame Umwälzung des Chymus (Speisebrei). An der Steuerung der Dickdarmmotorik sind auch Hormone beteiligt, und zwar Gastrin und Cholecystochinin (CCK).

Verdauung der Nährstoffe im Darm

Im Dünndarm stehen die Abbauvorgänge durch die Enzyme von Pankreas und Darmsaft im Vordergrund, während bakterielle Verdauungsvorgänge eine untergeordnete Rolle spielen.
Etwa zwei Drittel des verdaulichen Rohproteins, die leicht angreifbaren Proteine, werden im Dünndarm verdaut. Die Fette werden ohne vorherige Hydrierung im Dünndarm gespalten und resorbiert, was zu einem hohen Gehalt an ungesättigten Fettsäuren im Pferdedepotfett führt. Die Fettverdauung erfolgt durch die Aktivität der Lipase, einem Pankreasenzym, die höchste Resorption von Fett erfolgt im Ileum.
Die löslichen Kohlenhydrate werden im Dünndarm größtenteils zu Glucose abgebaut und als solche resorbiert. Von den N-freien Extraktstoffen werden etwa 80% im Dünndarm verdaut. Etwa zwei Drittel der verdaulichen organischen Substanz werden im Dünndarm des Pferdes verdaut und resorbiert. Völlig unverdaut gelangt die Rohfaser durch den Dünndarm in den Blinddarm.

Wegen der im Unterschied zum Wiederkäuer fehlenden vorverdauenden Tätigkeit der Pansenmikroorganismen und wegen der kürzeren Verweildauer des Futters im Magen-Darm-Trakt werden vor allem die rohfaserreichen Futtermittel schlechter verwertet als beim Rind. Die Verdauungskoeffizienten aller Nährstoffgruppen liegen umso niedriger, je rohfaserreicher ein Futtermittel ist.

Beim Pferd spielt die Verdauung im Dickdarm besonders durch das Vorhandensein einer großen Anzahl von Darmbakterien eine wichtige Rolle, während die Enzymtätigkeit geringer ist. Im Unterschied zum Wiederkäuer aber sind die dem Pansen vergleichbaren Gärkammern Caecum und Colon der enzymatischen Verdauung des Magens und Dünndarms nachgeschaltet. Somit gelangt beim Pferd bereits vorverdauter und schon durch Resorption mengenmäßig verminderter Nahrungsbrei in die „Gärbottiche“. Hier wird die Zellulose von zellulolytischen Bakterien zu flüchtigen Fettsäuren abgebaut, und zwar entstehen zwei Drittel Essigsäure und das restliche Drittel teilt sich in Propionsäure und Buttersäure, die dort auch gleich resorbiert werden. Die zellulolytische Aktivität nimmt vom Caecum über das ventrale zum dorsalen Colon hin ab.

Nach Abbau der Zellwände (Zellulose) wird u.a. das eingeschlossene Rohprotein freigesetzt, das nun zusammen mit dem im Dünndarm noch nicht verdauten Rohprotein durch bakterielle Enzyme bis zu den Aminosäuren und großteils bis zu
CO2 und NH3 abgebaut wird. Die proteolytische Aktivität nimmt vom Caecum zum ventralen und dorsalen Colon hin zu, ist aber insgesamt nicht besonders hoch.

Vergleichend kann gesagt werden, dass leichtverdauliche Kohlenhydrate, hochwertige Proteine und ungesättigte Fettsäuren in den Vormägen der Wiederkäuer verlustreich ab- oder umgebaut werden, Dickdarm- Verdauer wie das Pferd diese leichtverdaulichen Nährstoffe jedoch im Dünndarm verdauen und resorbieren. Dadurch können Dickdarm- Verdauer hochwertige Nährstoffe effizienter nutzen als Vormagen- Verdauer.

Vormagenverdauer dagegen können Futterproteine schlechter Qualität und Nicht-Protein-Stickstoff bei der Synthese von hochwertigem mikrobiellem Protein nutzen. Dieses mikrobielle Protein kann im Dünndarm verdaut werden.

(Dr. med. vet Johannes WINKLER, Auszug aus dem Vorlesungsskript: Physiologie; Ausbildung: ARGE-Tierphysiotherapie Österreich; copyright)